… und Hans Meyers ganz andere Version der Dinge.

Alles begann damit, dass Thomas Brussig versucht hat, sich mit mir in Verbindung zu setzen, nachdrücklich, aber sehr höflich, einmal schriftlich, zweimal telefonisch, und dann hab ich ihm schließlich geantwortet: Ich werd mir’s mal anschauen. Generell war ich schon interessiert, Autoren für die erste Weltmeisterschaft in der italienischen Kleinstadt San Casciano dei Bagni fit zu machen.

Das war im Spätsommer 2005. Nicht nur die Toskana, wo ich schon Urlaub gemacht habe, reizte mich, sondern die Idee als solche, kickende Schriftsteller. Ich habe mir gesagt, okay, fußballerisch können sie bestimmt noch was lernen, nur literarisch kann ich ihnen nicht viel helfen.

Als Vorbereitung hat Brussig die Mannschaft und mich in sein Landhaus in der Nähe von Altentreptow eingeladen. Erst dachte ich, das liegt bei Berlin Treptow, deshalb habe ich überhaupt spontan zugesagt, aber das ist ein Dorf, irgendwo in Mecklenburg. Er hat da ein altes Bauerngehöft und ist wohl immer noch dabei, es aus  und umzubauen. Ich bin am Nachmittag mit dem Auto von Berlin aus gekommen, um zwei, da hatten die Jungs schon eine Trainingseinheit hinter sich und lagen halb schlafend, halb dösend unter den Bäumen. Um wach zu werden und uns ein bisschen besser kennenzulernen, haben wir uns erst einmal zusammengesetzt, Kaffee getrunken und ein Stückchen Pflaumenkuchen gegessen, selbstgebacken von einer Bäuerin. Das Wetter hat mitgespielt, und es war richtig gesellig. Und danach haben wir noch eine Trainingseinheit absolviert, 90 Minuten, vordergründig ein paar Spielformen geübt, mehr nicht. Mehr ging auch nicht, denn der Platz war ein Acker mit zwei Toren – einer war am Vormittag, vor meiner Ankunft, über einen Maulwurfshügel gestolpert und hatte sich dabei die Hand gebrochen.
Ich fand die Truppe gleich nett und lustig, aber vom rein Fußballerischen her mit starken Unterschieden behaftet, das Leistungsgefälle war enorm. Ich hatte mir vorher gar keine Vorstellung von ihnen gemacht. Mir war nur klar, dass es da wie überall, wo Volkssport betrieben wird, eine große Begeisterung gibt und auch ein paar dabei sind, die durchaus ein ordentliches Niveau haben. Dann macht’s natürlich auch Spaß, und darauf kommt es an, auf die Freude, auf dem Rasen zu stehen und gemeinsam um den Sieg zu kämpfen. Das ist bei Kindern nicht anders.
Dieser Nachmittag in Mecklenburg war sehr schön, die Atmosphäre hat mir gut gefallen, unabhängig davon, dass man als neuer Trainer die Mannschaft noch nicht kennt, die Namen der Spieler, die Stärken und Schwächen und Charaktereigenschaften. Ich bin weggefahren und hab mir höchstens drei Namen gemerkt, aber alle haben mir hinterher ihre Bücher geschickt.

Dann, Ende September, sind wir für vier Tage in die Toskana geflogen, um gegen Autoren aus Ungarn, Schweden und Italien anzutreten. Das war fantastisch organisiert: Jeden Abend wurde in einer anderen Straße draußen im Freien gefeiert, die Bewohner haben ihre Gästezimmer hergerichteten und für das Abendbrot der Mannschaften gesorgt. Es gab Lesungen und Filmvorführungen, und wie alle miteinander umgegangen sind, das konnte einem richtig das Herz erwärmen.
Dass ich die deutsche Mannschaft fußballerisch weitergebracht habe, kann ich nicht sagen. Dafür war die Zeit zu kurz. Da stellt man sich als Trainer eben hin und sagt, wie man sich das vorstellt. Man gibt eine Taktik vor und nennt ein paar Grundregeln. Dass wir bei Ballbesitz des Gegners das Spiel verdichten müssen, bei eigenem Ballbesitz breit machen sollten, um es selbst zu bestimmen – so etwas.
Im Halbfinale trafen wir auf Italien und fürchteten, dass sie einen Exprofi einsetzen könnten, wie die Schweden, denn Niclas Kindvall hat schließlich mal beim HSV gespielt und schreibt jetzt Kinderbücher. Das beeinflusst das Gesamtniveau einer Mannschaft ungemein, und da hat man nur eine Chance, wenn sich jeder Einzelne zurücknimmt und man als Mannschaft harmoniert, sonst kann man schnell die Hütte voll bekommen. Gegen Italien haben zwar wir 1:0 gewonnen, das muss man sich mal vorstellen: Italien – im eigenen Land geschlagen! Im Finale gegen Schweden sind wir dann aber mit 5:0 untergegangen. Und beim vorletzten Gegentreffer hat sich unser Torwart auch noch den Knöchel gebrochen. Egal: Wir waren Vizeweltmeister!
Als Spieler bin ich mit dem Carl Zeiss Jena DDR Meister geworden, und als Trainer FDGB Pokalsieger, aber meine größten Erfolge hatte ich mit Literaten und Behinderten. Mit Behinderten deshalb, weil ich 1997 die Mannschaft von Groningen zum Titel geführt habe. In Barendrecht läuft jedes Jahr eine nachahmenswerte Veranstaltung, wo ganz Holland, jede Provinz, unter anderen Drenthe, Groningen, Friesland, Amsterdam, eine Mannschaft hinschickt mit zwölf Spielerinnen und Spielern, die körperlich oder geistig behindert sind. Und jeder Erst- und Zweitligatrainer wird verpflichtet, eine von diesen Mannschaften zu betreuen. Ich stand ja damals beim FC Twente Enschede unter Vertrag. Und so kümmerte ich mich an einem Mittwoch im August, kurz vor Beginn der Saison, zusammen mit FIFA Schiedsrichtern und Nationalspielern den ganzen Tag um gehandicapte Jugendliche. Dieses Turnier hat einen richtig hohen Stellenwert, und für die Jungs und Mädels ist das etwas Besonderes, man sieht es an ihren glänzenden Augen und der Freude, mit der sie dabei sind, und das war auch für mich ein großes Erlebnis, weil es da zunächst einmal nur ums Spiel ging – und mein Team am Ende doch gewonnen hat.
Natürlich sage ich das mit den Literaten und Behinderten ein ganz klein bisschen mit Ironie. Sicher ist das unterm Strich gesehen nichts, wenn man bedenkt, was meinen Beruf ausmacht. Aber trotzdem: Mir hat beides sehr viel Spaß gemacht, daran schmälert auch der DFB Pokalsieg mit Nürnberg nichts. Der war zwar wichtig, aber was ist das schon gegen Titel wie holländischer Meister – oder Vizeweltmeister?

Bei der zweiten Autorenweltmeisterschaft 2006 in Bremen, wo die deutschen Schriftsteller den letzten Platz belegten, war ich nicht dabei. Und für die dritte, nur wenige Wochen später, wieder in San Casciano, haben sie sich nicht qualifiziert. Ich will nicht sagen, dass das was mit mir zu tun hat, damit, dass ich sie aus terminlichen Gründen darauf nicht vorbereiten konnte. Aber danach haben sie eingesehen, dass sie einen festen Trainer brauchen, und Ulli Kuper angeheuert. Der hat eine B Lizenz, und ich habe ihn 2007 im Trainingslager in Nürnberg kennen gelernt, die ruhige, konzentrierte Art, mit der er die Spiele gegen das Betreuerteam des DFB, die 1. FC Nürnberg All Stars und die Akademie für Fußballkultur geleitet hat. Unter ihm hat die Mannschaft enorme Fortschritte gemacht, vor allem was das Halten der Position, das schnelle Passspiel und das Verschieben der Mannschaftsteile angeht. Und seine Vorgaben haben sie in Malmö, bei der jüngsten Weltmeisterschaft, ja auch umgesetzt. Da sind sie nach aufreibenden Spielen gegen Dänemark, Schweden und Ungarn Dritter geworden.
Die ganze Idee hat sich inzwischen ausgeweitet und eine solide Basis bekommen, der DFB ist dabei mit seiner Kulturstiftung, und außerdem gibt es dieses Buch – “Titeölkampf”. Es wird immer größer, und das ist zugleich die Gefahr: Schon in Italien gab es die ersten kleinen Probleme, als nicht jeder mitgenommen wurde, der es verdient gehabt hätte, denn verdient hätte es jeder, der schreibt und spielt und mitmacht, egal wie stark und wie gut er ist, aber wenn du ein paar Spieler dabei hast mit echtem Leistungsgedanken und Riesenehrgeiz, dann läuft das natürlich anders. Wenn sich die Sache darauf beschränkt, immer nur gewinnen zu wollen, dann wäre das schade, aber das ist meine Meinung, natürlich ist es alles in allem trotzdem schön, wenn sie sich regelmäßig treffen und eine Gruppe entsteht, die Fußball und Literatur verbindet.
Wenn ich an diese Jungs denke, die mit mir in Italien waren und in Nürnberg – da waren einige richtig gute Fußballer dabei, mit Stärken und Schwächen. Die Stärke ist, dass sie in der Lage sind, auch mal was alleine zu machen, und die Schwäche ergibt sich daraus: Es passiert natürlich, dass solche Spieler, die am Ball stark sind und sich den Mitspielern ein bisschen überlegen fühlen, das Einzelspiel, das egoistische Spiel manchmal übertreiben.
In Nürnberg beim Training habe ich gesagt: Was euch schwer fällt, und das hängt wahrscheinlich mit eurer individualistischen Lebensgestaltung zusammen, ist die Kommunikation in der Mannschaft. Ihr redet gar nicht miteinander. Die Voraussetzung für Kommunikation ist, dass man alle sehr gut kennt, dass es da ein Vertrauen gibt, man auf dem Platz Orientierung hat und dass man dann über seine eigene Leistung hinaus Verantwortung für das Ganze übernimmt. Das kann nicht von Anfang an da sein, das muss wachsen, und je länger man zusammen spielt, desto selbstverständlicher werden Situationen gesehen, Situationen, die noch gar nicht da sind, Möglichkeiten also, und die müssen sprachlich formuliert, angedeutet, vorbereitet werden, damit sie überhaupt eintreten. Jeder Autor macht das auf dem Papier mit sich selber aus, aber auf dem Platz ist er auf die anderen angewiesen, wenn er etwas gestalten will.
Man sollte natürlich annehmen, dass ein kreativer Mensch, ein kluger Mensch, der seinen Kopf zum Denken hat, seine Fähigkeiten automatisch auch auf dem Platz zeigt, aber nichts stimmt weniger als das. Es gibt dumme Fußballer, deren Horizont sehr eingeschränkt ist, und die auch nicht allzu viel um sich herum mitbekommen und trotzdem auf dem Platz eine unglaublich hohe Spielkultur entfalten – und umgekehrt gilt das natürlich auch. Das Spiel setzt völlig neue und andere Kräfte frei, und das macht die Autorenmannschaft aus, dass die Spieler sich mit Worten und Texten beschäftigen und durch das tägliche Herumsitzen heiß darauf sind, sich endlich einmal gemeinsam körperlich auszutoben.
Ich kann nicht sagen, wie sie sich sportlich entwickeln werden, weil ich im Gegensatz zu Ulli Kuper nicht bei jedem Training, bei jedem Spiel dabei bin. Aber ich finde diese Grundidee, auch wenn sie mittlerweile zu ernst genommen wird, prima, weil etwas Neues darin steckt, der Versuch, mit Fußball sprachliche Grenzen zu überschreiten, sich mit ausländischen Autoren, die man selten sieht oder unter anderen Umständen gar nicht kennengelernt hätte, auf dem Rasen zu messen, und wenn man diesen Gemeinschaftsgedanken, diesen sportlich literarischen Kulturaustausch auf die ganze Welt erweitern kann, dann hat die deutsche Autorennationalmannschaft eine große Zukunft.
Ob ich daran mitwirken werde, da will ich mich jetzt mal nicht festlegen. Sollte ich als gut aussehender 65 Jähriger in Rente gehen, komme ich sicher bei ihnen vorbei, und wenn es nur darum geht, zusammen zu sitzen, Pflaumenkuchen zu essen und Wein zu trinken.

Protokoll: Jan Brandt

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Alle Infos zu "Fußball ist unser Lieben", hrsg. von Albert Ostermaier, Norbert Kron und Klaus Caesar Zehrer, Suhrkamp 2011, hier!


Alle Infos zu Titelkampf, hrsg. von Albert Ostermaier, Moritz Rinke und Ralf Bönt, Suhrkamp 2008, gibt es hier!

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